»Die alten Menschen achten genau darauf, was ich für eine Frisur habe, was ich für Ohrringe trage.«
Yvonne-Iris Paul macht im dritten Jahr eine Ausbildung zur Altenpflegerin.
Frau Paul, Sie haben mit kaum 16 die Ausbildung begonnen, nach der Mittleren Reife. Wussten Sie nach der Schule gleich, wie es weitergehen sollte?
Ja, das war sofort klar. Meine Mutter hatte schon als Pflegehelferin gearbeitet und mich mal zur Arbeit mitgenommen, ich hatte Praktika gemacht in Altenheim und Pflegedienst. Da wollte ich hin.
Was ist es im Besonderen, das Sie zur Pflege gezogen hat?
Ich erzähle gerne und finde es spannend, wenn Ältere von früher erzählen. Viele haben ja auch keine Angehörigen mehr oder diese wohnen weit weg oder kümmern sich nicht, so bin ich für viele eine Art »Enkelersatz«. Mir macht es Freude, alte Menschen glücklich zu machen. Ich finde es spannend, mich mit den verschiedenen Krankheitsbildern im Alter auseinanderzusetzen. Wie ich das in der Schule Gelernte hier umsetzen kann. Man lernt jeden Tag etwas Neues dazu.
Gab es etwas, was für Sie am Anfang besonders schwierig war?
Ja doch, zu Beginn, ich war gerade sechzehn, sollte ich männliche Bewohner waschen, wusste nicht, wie mache ich das am besten. Das hat Zeit gebraucht, sich daran zu gewöhnen. Aber jetzt ist das für mich kein Problem mehr. Ich hatte auch kein Problem mit Ausscheidungen oder wenn jemand spuckt. Nein, Ekel kommt bei mir selten auf, das muss dann schon was Extremes sein.
Wie gehen Sie damit um, dass – anders als bei der Arbeit mit Kindern beispielsweise – die alten Menschen ja immer hinfälliger werden und sie irgendwann auch sterben?
Das hängt davon ab, welche Bindung man zu den Bewohnern hat. Das fällt schon manchmal schwer, aber man muss, wenn man hier die Tür hinter sich zumacht, die Arbeit hinter sich lassen. Meistens gelingt das auch. Manchmal schneide ich zu Hause an, was so vorgefallen ist, meinen Freund interessiert das jedoch nicht besonders. Aber man kann hier mit allen Arbeitskollegen über alles sprechen.
Die Menschen sind ja hier, um zu sterben, und man versucht, ihnen die letzten Jahre so angenehm wie möglich zu machen. Die ersten Male war es schon schlimm. Denn ich hatte vorher noch nie einen toten Menschen gesehen. Mich hat dann verwundert, was hier noch alles mit den Verstorbenen gemacht wird, ihnen die Hände falten, eine Kerze anzünden, das Fenster öffnen, damit der Geist hinausfliegen kann, Lebensstationen werden noch mal verlesen. Ich bin nicht kirchlich und hatte damit eigentlich gar nichts zu tun. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich dann daraufhingewiesen, ich habe dann gesagt, dass das für mich kein Problem sei und ich alles mitmache.
Gibt es eine Begebenheit, die Ihnen besonders positiv in Erinnerung ist?
Ja, ich hatte einmal einen Fehler gemacht und wurde von der Fachkraft gerügt. Da hat mich die Bewohnerin verteidigt und gemeint: »Wie können Sie mit einem so netten Mädchen so umgehen, sie macht doch alles so ordentlich«… Das fand ich schön.
Und was machen Sie besonders gerne?
Die Behandlungspflege, also die medizinisch-pflegerischen Tätigkeiten, Insulinspritzen geben, Verbände anlegen. Aber auch, beim Spätdienst einfach mal im Stuhlkreis eine halbe Stunde erzählen und Kaffee trinken. Das geht jedoch nur, wenn es keinen Notfall gibt und man alles gut geschafft hat. Beim Frühdienst herrscht zu viel Hektik. Ich fände es gut, wenn man gerade morgens ein bisschen mehr Zeit hätte, um zu reden. Heute habe ich es gerade mal fünf Minuten geschafft, mich zu einer Bewohnerin zu setzen.
Und worüber wir so reden … Zum Beispiel zurzeit über das Wetter. Über alles Mögliche eigentlich. Was mir aufgefallen ist: Die alten Menschen achten genau darauf, wenn ich zum Dienst komme, was ich für eine Frisur habe, was ich für Ohrringe trage, so Kleinigkeiten. »Früher habe ich das auch so getragen«, kommt dann mal. Das finde ich schön.
Was raten Sie anderen jungen Menschen, die sich für Ihren Beruf interessieren?
Anstrengend ist es schon. Einige in meiner Schule haben die Ausbildung auch abgebrochen. Man muss Ausdauer haben. »Macht erst ein Praktikum oder ein Freiwilliges Soziales Jahr«, empfehle ich. Ich wollte das durchziehen, ich bin ehrgeizig.
Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?
Ich hoffe, dass ich übernommen werde und erstmal ein paar Jahre hier bleiben kann. Später möchte ich vielleicht in der Intensiv-Pflege arbeiten. Ich habe dort mal ein Praktikum gemacht, das hat mich sehr beeindruckt. Eine Frau konnte sich nur mit Hilfe von Augenbewegungen und einem Computer verständlich machen, das fand ich faszinierend. Ich versuche mich dann in ihre Lage hineinzuversetzen und frage mich: »Wie würde ich an ihrer Stelle behandelt werden wollen?«
Interview: Beate Schneppen, 2016