»Ja, ich glaube, 'danach' gibt es noch etwas.«
Veronika Elsner ist Altenpflegerin und arbeitet seit 2011 im Haus.
Frau Elsner, Sie sind katholisch – damit sind Sie hier im Haus, aber sicher auch sonst eine ziemliche Ausnahme, oder?
Ja, das stimmt. Aber dass dies ein christliches Haus ist, war für mich nicht ausschlaggebend. Ich hatte Positives gehört über das Schwesternheimathaus, mir gefielen der Altbau, der große Garten, die Umgebung. So habe ich mich dann 2011 hier beworben. Evangelisch oder katholisch, da sehe ich nicht so große Unterschiede. Aber durch meine christliche Erziehung war ich mit den Abläufen hier im Haus vertraut: Gebete vor und nach dem Essen, kirchliche Lieder, Abendgebet, das kannte ich schon.
Wollten Sie immer schon Altenpflegerin werden?
Ja! Das war mein erster Berufswunsch. Das liegt daran, dass schon meine ganze Familie mit Menschen zu tun hatte. Meine Mutter war Krankenschwester, meine Schwester Erzieherin. In der Schulzeit habe ich in den Ferien Praktika in der Altenpflege geleistet.
Warum gerade alte Menschen?
Ich hab auch mal bei meiner Schwester im Kindergarten vorbeigeschaut, aber das war gar nichts für mich. Ich habe mich immer für Geschichten »von früher« interessiert. Alten Menschen auf dem letzten Weg noch etwas Gutes tun, ihnen die Angst vor dem Sterben nehmen, das hat mich motiviert. Hier hat mich meine Oma sehr geprägt, die auch im Pflegeheim war. »Wir werden uns alle wiedersehen«, war ihre Überzeugung. Ja, ich glaube, »danach« gibt es noch etwas. Die Sterbebegleitung ist für mich sehr wichtig. Egal, wie knapp bemessen die Zeit ist: Sich noch einmal an das Bett des Sterbenden setzen, etwas vorlesen, Musik spielen, die Hand halten – auch dafür habe ich den Beruf gewählt.
Viele scheinen mit dem Sterben zu warten, bis die Kinder noch mal da waren, gerade bei Streitigkeiten in der Familie, wenn noch etwas geklärt werden muss. Sie können erst loslassen, wenn die Angehörigen gekommen sind. Kürzlich hatten wir so einen Fall: Der Sohn ist noch mal gekommen, nach fünf Minuten ist die Mutter gestorben. Oder jemand wurde ins Krankenhaus verlegt, kam zurück, ist dann gestorben – als hätte sie darauf gewartet.
Hat Ihnen diese Konfrontation mit Tod und Sterben nie Angst gemacht?
Nein, weil ich dafür in der Ausbildung sehr gut vorbereitet wurde. Klar, die ersten zwei, drei Male war es schon schlimm, als ich dabeigesessen habe. Wir lernen in der Ausbildung auch, Distanz zu wahren, jemanden gehen lassen zu können. Je enger die Beziehungen zu den Bewohnern sind, desto schwieriger ist es natürlich. Einmal hatte ich eine besonders enge Bindung an eine Bewohnerin, da war es mir dann unmöglich, die letzte Grundpflege, die Totenwaschung, vorzunehmen.
Was ist Ihnen besonders wichtig?
Die Nähe zu den Bewohnern! Ein Lächeln hervorrufen, Vertrauen gewinnen. Viele möchten auch reden – nicht alle – , über ihre Vergangenheit, über Kriegserlebnisse. An einem Tag im Monat machen wir die Pflegeplanung, dazu gehört dann auch, sich mit dem Bewohner hinzusetzen und ausführlicher zu reden, über das, was ihn bewegt und früher bewegt hat. Das sind dann Tage, an denen man mit einem Lächeln nach Hause geht, weil man Zeit zum Zuhören hatte – oder sich Zeit genommen hat.
Zeit für die Bewohner – haben Sie die an normalen Tagen?
Leider kommt dies oft zu kurz. Die vorgeschriebene Dokumentation nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Stattdessen würde ich lieber mit den alten Menschen eine Zeitung ansehen oder Fotos von früher. Ich bin schließlich Altenpflegerin geworden, um für die Menschen da zu sein, nicht, um Büroarbeit zu machen. Ich wünsche mir wirklich mehr Zeit, mehr Personal!
Was sind für Sie Erfolgserlebnisse?
Es gibt immer neue Herausforderungen. Denn jeder Fall ist anders, jeder Parkinson äußert sich auf andere Weise. Wir versuchen, das Bestmögliche für den einzelnen Bewohner herauszuholen, auch wenn es oft großer Anstrengungen auf beiden Seiten bedarf. Wir ermuntern: »Wir zählen noch mal bis drei«, lassen nicht locker, um den einen oder die andere doch noch zum Laufen zu bewegen. Ist es endlich gelungen, mit dem Bewohner vom Bett die vier, fünf Schritte ins Bad zu laufen, wenn der oder die dann lächelt, man weiß, man hat den Bewohnern geholfen – das ist die Erfüllung, die man erfährt.
Wie hat denn Ihr Freundeskreis auf Ihre Berufswahl reagiert?
Viele haben gesagt: »Das könnte ich nicht«, »das ist eklig«. Sie hatten ein ganz falsches Bild, dachten, wer im Pflegeheim sei, könne gar nichts mehr. Aber die Meinung in meinem Freundeskreis hat sich sehr geändert. Etliche waren schon hier, am Tag der Offenen Tür, bei den Verkündigungsspielen, zu Fasching. »So schlimm ist es ja gar nicht«, kam dann oft hinterher, wenn sie merkten, dass wir »allrounder« sind, ganz vielfältige Aufgaben erledigen und nicht nur mit auf die Toilette gehen.
Was machen Sie, um abzuschalten?
Freunde treffen, nach Göhren in das Ferienhaus meiner Mutter fahren oder nach Binz zu meiner Schwester, mal zwei, drei Tage einmal ganz woanders sein.
Haben Sie sich schon mal gefragt, wie Sie selber später mal leben möchten?
Früher habe ich gesagt, »ich will auf keinen Fall ins Heim«. Heute denke ich, bevor ich mich von ambulanten Pflegediensten versorgen lassen, ziehe ich doch ein Heim vor. Denn die ambulanten Pflegedienste haben noch weniger Zeit, da geht es nach Minuten, etwas erzählen ist nicht drin. Da würde ich mich gar nicht trauen, zu sagen, ich hatte heute Nacht einen schlechten Traum. Im Pflegeheim hat man mehr Sicherheit, rund um die Uhr, man ist mehr unter Menschen.
Welche Fähigkeiten braucht jemand, der in der Altenpflege arbeitet?
Vor allem Einfühlungsvermögen, Geduld. Respekt, den Mut zu Neuem, die Bereitschaft, »Wegbegleiter« zu sein für die Älteren. Eine positive Ausstrahlung! Früh aufstehen können …
Interview: Beate Schneppen, 2016