»Mich erstaunt immer wieder, wie viele ältere Frauen uns jüngere Männer als Bereicherung empfinden.«
Ronald Henke ist Pflegehelfer und arbeitet hier seit 2014.
Herr Henke, Sie sind ein sogenannter Quereinsteiger, und dazu noch ein Mann in einer Frauendomäne. Das heißt, Sie kommen aus einem ganz anderen Beruf und haben sich mit 46 zu einem beruflichen Neustart entschlossen. Wie war das?
Ich habe auf der Volkswerft in Stralsund gearbeitet, im Schwerlastbereich als Systemtransportführer. Zu meinen Aufgaben gehörte es, einzelne Schiffssektionen hydraulisch aneinanderzutakten, bis zuletzt ein komplettes Schiff mittels bestimmter Technik zu Wasser gelassen wurde. 2012 wurde die Werft geschlossen. Ich wurde dann von einer Auffanggesellschaft übernommen und bekam die Möglichkeit, Einblick in andere Berufsbereiche zu bekommen, unter anderem auch in den der Pflege.
Warum gerade Pflege?
Dazu haben viele Gespräche im Freundeskreis und in der Familie beigetragen. Meine Schwester ist ebenfalls in der Krankenpflege tätig und unser Opa war es auch. Da eine Zukunft im Schiffsbau ungewiss schien und es hieß, dass Männer in der Pflege gefragt seinen, nahm ich die Herausforderung an. Ich absolvierte zwei vierwöchige Praktika und entschied mich dann für die Ausbildung zum Pflegehelfer.
Wie war es dann für Sie als Neuling?
Es war nicht leicht, sich mit 46 noch einmal auf die Schulbank zu setzen, um einen neuen Beruf zu erlernen, nach 26 Jahren auf der Werft! Dazu kamen nun veränderte Arbeitszeiten, Wochenend- und Feiertagsdienste, ein ungewohnter Rhythmus. Eine der Fragen, die mich zu Anfang beschäftigten: Werden mich die alten Menschen, die ja in der Mehrheit Frauen sind, als Mann überhaupt akzeptieren? Jede der älteren Frauen hat ja ihre eigene Vorgeschichte, gewisse Erinnerungen, die nicht in jedem Fall positiv gewesen sein mögen. Können sie ertragen, sich von einer männlichen Kraft pflegen zu lassen?
Für dieses Haus sprach für mich in erster Linie die sehr gute Einarbeitung durch die Schwestern während meiner Ausbildung, trotz der knappen Zeit für die Pflege. Dann auch der Zusammenhalt der Mitarbeiter sowie der familiäre Charakter des Hauses.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht als einer der raren männlichen Mitarbeitenden?
Mich erstaunt immer wieder, wie viele ältere Frauen uns jüngere Männer – wir sind zurzeit sechs männliche Kollegen im Haus – als Bereicherung empfinden. Die alten Damen scheinen sich in unseren Händen wohl zu fühlen. Das bekommt man auch zurück, manche sagen das, oder, wer nicht mehr reden kann, streicht einem über die Hand. Und für die älteren Herren ist man mitunter nicht nur der Pfleger, sondern auch der Kumpel. Man tauscht sich aus, »ich hab´ da mal ein Problem, was haben Sie denn früher gemacht?«, frage ich, profitiere von einem reichen Erfahrungsschatz in Gartenarbeit, Holz- und Metallarbeiten. Dann ist natürlich die zumeist größere Körperkraft von uns Männern ein Vorteil: Für uns ist es oft leichter, eine Person von A nach B zu transportieren. Da wären sonst mitunter zwei Pflegerinnen vonnöten, angesichts des knappen Personalstands durchaus ein Vorteil.
Wie sehen Sie generell die Situation älterer Menschen in der Gesellschaft?
… Insgesamt bekommen die Alten zu wenig Aufmerksamkeit. Das gilt aber auch für behinderte Menschen. Mit Rollstuhl oder Rollator von einem Ort zum anderen zu kommen, da stößt man immer wieder auf Hindernisse. Hier konkret: Es gibt zu wenig Einzelzimmer, was sicher dem Kostendruck geschuldet ist. Aber jeder hat den Wunsch und das Recht, sich zurückzuziehen. Mehr Zusammenleben in der Gemeinschaft wäre wichtig. Gerade auch, weil heutzutage viele getrennt von ihren Angehörigen leben.
… und wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?
Ich selbst möchte mit meinen beiden Händen ein Stück zurückgeben von dem, was ich bekommen habe, ein Stück Achtung und Respekt. Ich hatte keine schlechte Kindheit. Und auf der Werft bin ich immer von Älteren angehört worden. Alt und Jung, das geht nicht immer gut, aber dort ist man in einer Gruppe zusammen aufgewachsen und mit Verständnis füreinander. So wünsche ich es mir auch jetzt. Die Alten haben das Recht auf adäquate Daseinsunterstützung.
Wenn ich mich kurz fassen müsste, würde ich sagen: »Ich hab's gewollt, ich bin das Risiko eingegangen, ich hab's wunderbar hingekriegt.«
Interview: Beate Schneppen, 2016